Wie LANGE NOCH?

 

Tom Mokkahoff

 

 

 

 

Jetzt warte doch mal! Immer das gleiche mit denen, schnell noch in die Baustelle reinfahren. Hast du eine Ahnung, wie es ist, einen Fünfundzwanzigtonner abzubremsen? Ich werde nie in so einem Auto sitzen. Sieh ihn dir an, mit seinem weißen Hemd. Es hat vierzig Grad und er schwitzt nicht mal. Nein, so einer schwitzt nicht. Wir stinken schon am Vormittag von dem Schweiß und dem Dreck. Und vor Angst. Morgen ist die Baustelle fertig und dann beginnt wieder das Warten. Arbeitsamt, dreizehn Euro pro Tag, Bewer­bungstraining. Entscheiden tun die das, in ihren weißen Hemden.

Was siehst du mich so an? Was glaubst du, wer ich bin? Du siehst nur den Dreck. Weißt du, wie viele Jahre ich in der Abendschule war? Facharbeiter­ausbildung, Vorarbeiterkurs, Maschinenführeraus­bildung. Wie lange es diesmal dauern wird, bis ich wieder Arbeit habe? Meine Frau geht putzen, am Flughafen, wir werden schon durchkommen. Aber das Warten schmerzt.

Unsere Kinder werden es einmal besser haben. Sie haben eine Ausbildung und gute Berufe, sie müssen sich nicht mehr schmutzig machen. Siebzehn Jahre noch, siebzehn Jahre Angst und Dreck und verächtliche Blicke von Weißhemden. Na endlich, jetzt hast du es begriffen.

  

2

 

Was tut der da? Sieht der nicht, dass ich da durch muss? Ich habe es eilig, Mann, ich muss in drei Stunden in Frankfurt sein! Die Kunden warten nicht. Wenn ich den Flug verpasse, dann bin ich erledigt. Das letzte Restrukturierungsprogramm ist nur haarscharf an mir vorbeigekratzt. Ein Fehler und es heißt adieu, Herr Abteilungsdirektor. Dir kann das ja egal sein. Da oben in deiner dicken Kiste fühlst du dich wohl wie der Herr der Welt. Du zeigst es mir, in dem du jetzt auf stur schaltest. Komm lass mich durch! Wir müssen den Auftrag kriegen. Der Vorstand wird schon nervös, wir sollen demnächst wieder verkauft werden. Wenn wir da nicht glänzen, wird das gesamte Geschäfts­feld zugesperrt. Dann stehen vierhundert Leute auf der Straße. Und mit achtundvierzig, glaubst du, ich bekomme noch einmal so einen Job? Dann kann ich froh sein, wenn ich irgendwo unterkomme. Meine Kinder studieren im Ausland, wie soll ich das bezahlen?

Aber das ist dir gleichgültig, in deinem großen Bagger. Du gehst um vier nach Hause und legst die Beine hoch.

Sturer Bock, ich kann nicht weiter zurück. Na endlich. Wenn jetzt nur kein Stau ist auf der Autobahn.

 

 

3

 

Noch vier Stunden! Ich bin erledigt. Lea hat die ganze Nacht nicht geschlafen. Wieder ein Zahn. Und Mama sah auch nicht gut aus. Hoffentlich wird sie nicht krank. Ich kann nicht schon wieder Pflegeurlaub beanspruchen, der Chef rastet aus. Wir haben viel zu wenig Leute, der Betrieb ist kurz vor dem Zusammenbrechen. Da ist das Signal, Frankfurt ist abgefertigt. Fünf Minuten noch bis zur Pause. Wir müssen sparen, heißt es dauernd. Und kon­kurrenzfähiger werden. Wer seinen Beitrag nicht leistet, hat keine Zukunft beim Unternehmen! Ich weiß nicht, was die wollen. Was soll ich noch tun? Der Kindergarten sperrt um sechs. So, Pause. Ein Kaffee, eine Zigarette, schnell aufs Klo. Zehn Minuten und dann zum Gate. Noch vier Stunden.

 

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Nicht einmal die Tasse kann sie wegräumen. Die denkt wohl, sie ist was Besseres. Grüßen kann sie auch nicht. Immer hektisch, diese jungen Leute, in ihren Uniformen. Drei Stunden noch. Dann ist meine Schicht vorbei. Aber man darf ja nichts sagen, weil das jetzt unsere Kunden sind, seit sie aus uns eine eigene Firma gemacht haben. Ausgegliedert haben sie gesagt und irgendwas Englisches. Jetzt sind wir nur mehr halb so viele Leute. Die Arbeit ist aber die gleiche. Gott sei Dank bin ich heute nicht bei den Gates eingeteilt.

Ob mein Mann morgen wieder Arbeit hat?

 

 

 

 

 

 

aus:

 

Rote Lilo trifft Wolfsmann – Anthologie

Literatur der Arbeitswelt

ISBN 3-935473-05-2

Herausgeber: Petra Öllinger, Georg Schober